GSW-Mitglied Singer Preisprüfung
Entscheidende Änderungen in der VO PR 30/53
8. Deutscher Preisrechtstag am 18.10.2023 in Köln

GSW-Mitglied Michael Singer

Öffentliches Preisrecht und Preisprüfung — Beratung, Seminare und Workshops

Diplom-Betriebswirt (FH)
und zertifizierter Trainer
Singer Preisprüfung GmbH
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18.10.2023

8. Deutscher Preisrechtstag am 18.10.2023 in Köln

Tagung zum öffentlichen Preisrecht

Seit 2016 veranstalten wir den Deutschen Preisrechtstag — üblicherweise in der Zeit von September bis November im Raum Köln.

Im Mittelpunkt der Tagung stehen gewöhnlich die weiteren Entwicklungen sowie die Interpretation und Praxistauglichkeit des öffentlichen Preisrechts und die konkrete Anwendung in verschiedenen Bereichen.

Wir bieten Ihnen ein Forum. Sie haben die Gelegenheit zum Austausch mit den Kommentatoren der Standardwerke des öffentlichen Preisrechts (Ebisch/Gottschalk und Michaelis/Rhösa), dem Auftraggeber Bundeswehr, Preisprüfern, den wenigen Juristen, die Erfahrung im Preisrecht haben, sowie Beratern und Auftragnehmern.

Modera­toren

Dr. Marc Pauka
Herausgeber Michaelis/Rhösa
Michael Singer
Singer Preisprüfung GmbH
Singer Preisprüfung GmbH informiert:

Entscheidende Änderungen in der VO PR 30/53

Am 01.04.2022 sind die Neuregelungen der VO PR 30/53 in Kraft getreten – für alle öffentlichen Aufträge, die ab diesem Zeitpunkt vergeben wurden bzw. vergeben werden. Die Änderungen beschränken sich überwiegend auf § 4 VO PR 30/53 (Preise für marktgängige Leistungen) und § 9 VO PR 30/53 (Prüfung der Preise).

§ 4 VO PR 30/53 (Preise für marktgängige Leistungen)

Hervorzuheben ist dabei vor allem der neue Absatz 4:

Gibt es für eine Leistung einen verkehrsüblichen Preis auf dem allgemeinen Markt, ist dieser maßgeblich … Gibt es für die Leistung auf dem allgemeinen Markt keinen verkehrsüblichen Preis, wird vermutet, dass der Preis, zu dem die Leistung auf einem besonderen Markt angeboten wird, im Verkehr üblich ist, wenn er sich unter den Bedingungen eines Wettbewerbs herausgebildet hat.

Hier handelt es sich tatsächlich um eine entscheidende Neuerung, die dazu führen kann, dass eine Vergabe im Wettbewerb mit mindestens zwei zuschlagsfähigen Angeboten alle Voraussetzungen an einen Marktpreis erfüllt und einer Preisprüfung nicht mehr unterzogen werden braucht. In diesem Zusammenhang sagt die Vorlage des BMWi zur Abstimmung im Bundesrat:

„Bestehen weder Anhaltspunkte für einen Preisverstoß noch Zweifel an einem angemessenen Preis, etwa weil eine marktgängige Leistung in einem wettbewerblichen Vergabeverfahren beschafft wurde, in dem mehrere Anbieter geeignete Angebote abgegeben haben, dürfte eine pflichtgemäße Ermessensentscheidung, dass keine Preisprüfung durchgeführt wird, vertretbar sein.“

Entscheidend wird sein wie der öffentliche Auftraggeber und Preisprüfer mit dieser Regelung umgehen. Das BAAINBw als größter und bedeutendster öffentlicher Auftraggeber setzt diese neue Vorschrift bei der wettbewerblichen Vergabe ohne Zusatzaufwand für alle Beteiligten so um:

  1. Wenn der Auftragnehmer mit seiner Erklärung zum Preisangebot auf einen Marktpreis auf dem allgemeinen Markt gemäß § 4 VO PR 30/53 abstellt, behält sich der Auftraggeber das Recht vor, bei der Preisüberwachungsbehörde um eine Überprüfung der preisrechtlichen Zulässigkeit des angebotenen Preises zu ersuchen, wobei der erfolgreiche Bieter diese Information auch erhält.
  2. Liegen bei einer wettbewerblichen Vergabe die Voraussetzungen für eine Marktgängigkeit der Leistung und Verkehrsüblichkeit des Preises auf dem besonderen Markt vor (d.h. mindestens zwei zuschlagsfähige Angebote), so erhält der erfolgreiche Bieter zusammen mit der Mitteilung des Zuschlags eine Erklärung, dass aus Sicht des Auftraggebers ein Marktpreis auf dem besonderen Markt gemäß § 4 Abs. 4 VO PR 30/53 vorliegt. Gleichzeitig verzichtet der Auftraggeber als Ergebnis des effektiven Wettbewerbs im Rahmen der wettbewerblichen Vergabe auf die Einleitung einer Preisprüfung und die Beauftragung einer solchen Prüfung durch die zuständige Preisüberwachungsbehörde. Eine eventuelle Prüfung durch die Preisüberwachungsbehörde im Rahmen ihres allgemeinen hoheitlichen Aufgreifermessens gemäß § 9 VO PR 30/53 kann jedoch seitens des Auftraggebers nicht ausgeschlossen werden.
  3. Sollte eine Preisbildung zu Marktpreisen gemäß § 4 VO PR 30/53 nicht möglich sein, weil nur ein zuschlagsfähiges Angebot vorhanden ist, so wird sich der Auftraggeber mit dem Bieter, der für den Zuschlag vorgesehen ist wegen des heranzuziehenden Preistyps zu Selbstkosten verständigen und diesen über die Einleitung eventueller Preisprüfungen informieren.

Genauso könnte ein anderer öffentlicher Auftraggeber natürlich davor zurück schrecken, die erwähnte Vermutung tatsächlich umzusetzen und auch bei Aufträgen im Wettbewerb sicherheitshalber die Preisüberwachungsbehörde um Prüfung bitten, da ja ein verkehrsüblicher Preis auf dem allgemeinen Markt maßgeblich und vorrangig ist.

Dann wird die Preisüberwachungsbehörde zunächst prüfen müssen ob tatsächlich ein Marktpreis auf dem allgemeinen Markt nach § 4 VO PR 30/53 vorliegt. Wenn dieser nicht vorliegt sollte eigentlich geprüft werden ob eine wettbewerbliche Vergabe mit mindestens zwei zuschlagsfähige Angebote vorliegt, was dann zur Anerkennung eines Marktpreises auf dem besonderen Markt nach § 4 Abs. 4 VO PR 30/53 führen sollte.

Es sei dahingestellt ob mit dem neuen § 4 Abs. 4 VO PR 30/53 jetzt mehr oder weniger Prüfungsersuchen für eine Auftragsvergabe infolge eines ordnungsgemäßen Wettbewerbs bei den Preisüberwachungsbehörden eingehen.

§ 9 VO PR 30/53 (Prüfung der Preise)

Hier hat es vor allem der neue Absatz 5 “in sich”:

Soweit die für die Preisbildung und Preisüberwachung zuständigen Behörden die angemessenen Kosten des Auftragnehmers nach § 5 Absatz 1 nicht ermitteln oder berechnen können, können sie diese schätzen. Geschätzt werden kann insbesondere dann, wenn der Auftragnehmer über seine Angaben keine ausreichenden Aufklärungen zu geben vermag, seine Auskunft verweigert oder seine Unterlagen unter Verletzung der Mindestaufbewahrungsfrist des Absatzes 1 Satz 3 nicht mehr vorliegen. Bei der Schätzung sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind. Bei der Schätzung können die für die Preisbildung und Preisüberwachung zuständigen Behörden auf Daten des Auftragnehmers zurückgreifen, die ihnen aus anderen Prüfungen nach Absatz 2 Satz 1 bei dem Auftragnehmer bereits vorliegen. Die für die Preisbildung und Preisüberwachung zuständigen Behörden können im Rahmen der Schätzung der Kosten des Auftragnehmers angemessene Sicherheitsabschläge ansetzen. Können die Kosten des Auftragnehmers nur innerhalb eines bestimmten Rahmens geschätzt werden, so kann dieser Rahmen zu Lasten des Auftragnehmers ausgeschöpft werden. Ist eine Schätzung durch die für die Preisbildung und Preisüberwachung zuständige Behörde ganz oder teilweise nicht möglich, so kann diese die betroffenen Kostenpositionen des Auftragnehmers mit Null ansetzen.

Diese Möglichkeit einer Schätzung mit Sicherheitsabschlägen oder im Extremfall sogar das Ansetzen von Positionen mit Null hat nichts mehr mit der Feststellung der angemessenen Kosten zu tun und geht deutlich über die übliche Praxis hinaus.

Hans-Peter Müller, der über 20 Jahre im für die VO PR Nr. 30/53 federführenden Bundesministerium für Wirtschaft und Energie für deren Inhalt und Anwendung zuständig war und Mitherausgeber des Standardkommentars „Ebisch/Gottschalk/Hoffjan/Müller“ zum Preisrecht ist, hat diesen neuen Absatz 5 in einem Beitrag für den Vergabeblog vom 13.01.2022 u.a. wie folgt kommentiert:

Diese Möglichkeit stellt einen Dammbruch der bisherigen Rechtslage und der geübten Praxis dar. Zwar trifft die Preisprüfung regelmäßig Annahmen bzgl. der Angemessenheit der Kalkulationsansätze. Diese beruhen aber stets auf hinreichend konkreten Informationen, Kenntnissen und relevanten Unterlagen aus dem betrieblichen Rechnungswesen der zu prüfenden Unternehmen. Eine reine Schätzung war nicht möglich. Ob die Regelung auf ein fehlendes Verständnis von Sinn und Zweck des Preisrechtes bei öffentlichen Aufträgen im Allgemeinen und im Besonderen des § 9 VO PR Nr. 30/53 zurückzuführen ist, erschließt sich aus der Begründung des Bundesrates nicht.

und weiter:

Auch wenn die Voraussetzungen einer möglichen Schätzung oder der Ansetzung von Sicherheitsabschlägen klar umschrieben sind, steht die Möglichkeit der Schätzung auf sehr tönernen Füßen. Zuvorderst stellt sich die Frage, welchem Zweck die Schätzung überhaupt dienen soll. Der Wortlaut lässt jedenfalls nicht erkennen, dass es um die die Feststellung des höchstzulässigen Preises geht. Die Regelung erlaubt nämlich neben einer Ansetzung mit Null die Ausschöpfung eines „Schätzungsrahmens zu Lasten“ des Unternehmens. Es wird also nicht auf die preisrechtlich zulässigen Höchstkosten, sondern im Gegenteil auf möglichst niedrige Kosten abgestellt.

Selbst wenn, entgegen dem Wortsinn der neuen Vorschrift, unterstellt wird, die Schätzung gehe nicht zu Lasten des Unternehmens, hätte eine „Schätzung des Höchstpreises“ nichts mehr mit marktwirtschaftlicher Preisbildung gemein. Eine so geartete Prüfung kommt einer Festsetzung näher denn der Kontrolle. Dies verstößt gegen die Zielsetzung der VO PR Nr. 30/53, nämlich der vorrangigen marktwirtschaftlichen Preisbildung bei der Vergabe öffentlicher Aufträge.

Wie und ob diese neue Schätzungsbefugnis bereits Eingang in die Praxis der Preisprüfung gefunden hat ist nicht bekannt. Der aktuelle Standardkommentar „Ebisch/Gottschalk/Hoffjan/Müller“ ist aus dem Jahr 2020 – die neuen Regelungen sind also noch nicht enthalten. Hier besteht Hoffnung auf die Neuauflage des Kommentars, der für dieses Jahr beabsichtigt ist. Es bleibt daher abzuwarten wie diese Regelung in der Praxis umgesetzt wird. Dies wird auch ein Thema für die Podiumsdiskussion, an der eine Preisprüferin und ein Preisprüfer teilnehmen, beim nächsten Preisrechtstag am 18.10.2023 in Köln sein.
Veröffentlicht von
Michael Singer